Kloster und Gemeinschaft

„Wir senden uns Postkarten von dort, wo es schön ist. Aber warum ist es schön? Was macht uns empfindsam für bestimmte Orte?“, fragt Berthold Penkhues, Professor für Architektur. Und er ist sicher, dass der Schlüssel, um sich den Ort zu erschließen, im Ort selber liegt.

Wer das Besondere eines Ortes suche, weil er wissen wolle, warum es dort schön sei, der müsse in der Geschichte des Ortes auf Spurensuche gehen. Dann liefere das Alte die Idee für das Neue.

Ein Ort, von dem für Berthold Penkhues schon immer eine Faszination ausgeht, ist das Kloster auf der Breitenau bei Guxhagen. „Auf dem Weg nach Süden, wenn ich daran vorbeifahre, oder auf dem Weg nach Norden: Immer wieder weckt diese prächtige Anlage mit ihrer dominierenden Kirche meine Neugier“, sagt Berthold Penkhues. Das Kloster nehme eine besondere Stellung im Landschaftsbild ein, und das sei gewiss kein Zufall.

Wasser als Quell des Lebens
Häufig seien Klöster und andere christliche Bauten nicht  nur an Flüssen, sondern an Flussschleifen oder Quellen errichtet worden. Das Kloster Corvey mit seinem Unesco-Welterbe-Status liege bei Höxter in einer Weserschleife, und der Dom sowie die benachbarte Kaiserpfalz  in der mittelalterlichen Weltstadt Paderborn seien unmittelbar am Paderquellgebiet mit seinen mehr als 200 Einzelquellen errichten worden. Wasser: Das war ein früher Transportweg, es bot Schutz, und es ist für immer der Quell des Lebens. Es diente den Ordensleuten in den Klöstern zur Bewässerung von Pflanzen und Gärten sowie zum Betrieb von Fischteichen. Denn am Freitag wird kein Fleisch, sondern Fisch gegessen. Als unverzichtbarer Quell des Lebens ist Wasser in Religionen ein Symbol, - auch im Christentum. Mit Wasser wird getauft.

Die Benediktiner
Die Benediktiner haben  ihr Kloster an der Breitenau im Jahr 1113 errichtet. Damals hatten das Christentum und seine Botschaft eine andere Bedeutung im Leben der meisten Menschen als heute. „Klöster waren Wissensorte. Dort gab es Bücher, und Wissen aus Büchern wurde von dort aus verbreitet. Klöster waren aber vor allem Orte des Glaubens. Wer sich für das klösterliche Leben entschied, entschied sich für ein gemeinschaftliches Leben und für die Suche nach Gott in seinem Leben“, erinnert Berthold Penkhues an den ursprünglichen Geist von Breitenau. In der Zeit, als das Kloster dort entstand, hatte der Klosterbau eine europäische Dimension. Es war eine Bewegung, die vom Süden über die Alpen kommend den Norden spirituell erfasste und kulturell nachhaltig prägte. Das weltberühmte Kloster von Cluny im Burgund gilt als Prototyp der Klosterbewegung nördlich der Alpen. Von dort aus sprang der Funke im ganzen Frankenreich über. Beiderseits des Rheins wurden Klosteranlagen errichtet, und Berthold Penkhues nennt jene auf der Breitenau durchaus in einem Satz mit dem Bauwerk in Cluny.

Leben in Gemeinschaft
In Penkhues Schilderung erscheint das Mittelalter gar nicht so fern und finster, wie es sich die Menschen der späteren Epochen denken. Vielmehr fanden die Menschen auf ihrer Suche nach Gott zu Lebensformen und einer architektonischen Struktur fürs Leben, die heute noch Impulse setzen. Denn bestimmte Fragen und Antworten sind gar nicht so neu. „Den Wunsch, Gemeinschaft zu leben, gibt es schon immer“, sagt Berthold Penkhues, und das Kloster liefere eine Struktur für das Leben in Gemeinschaft, die bis heute funktioniere. Penkhues spricht von der Typologie des Klosters: Der Einzelne beansprucht darin am wenigsten für sich selbst. Er lebt auf kleinem Raum in seiner „Zelle“. Die Gemeinschaft aber beansprucht mehr Raum für sich zum Arbeiten und Essen,  zum Gebet und für die Kontemplation. Die Architekten der Klöster schufen Orte mit einer bestimmten Aura. „Die starke bildhafte Architektur der Klöster behält ihre Wirkung bis heute. Es ist ein architektonischer Kanon, der sich über die Jahrhunderte herausgebildet hat und noch heute voller Harmonie ist. In der Haptik des Materials, im wechselvollen Spiel von Licht und Schatten im Kreuzgang entstehen Zeichen, die von jedem Menschen verstanden werden. Es sind Orte, die jeden umfangen, und an denen er sich auf besondere Weise zeitlos und wohl fühlt“, sucht Berthold Penkhues eine Antwort auf die Frage, was das Besondere des Klosters ausmache: „Das Kloster war die ideale Welt inmitten der Wildnis, um sich den wesentlichen Dingen des Lebens zuzuwenden.“ Darum sei die Atmosphäre von Klosteranlagen immer ähnlich: „Sie vermitteln das Angekommen sein.“

Einige Beispiele
Indes werde die Idee nach einem zeitgemäßen gemeinschaftlichen Leben immer wieder gestellt. Berthold Penkhues erinnert an die Fuggerei in Augsburg, die erste Sozialsiedlung Deutschlands, die die reiche Kaufmannsfamilie Fugger aus christlicher Verantwortung 1521 errichten ließ, damit Menschen trotz materieller Armut bis heute würdig leben können. Im 19. Jahrhundert seien es Industrielle gewesen, die den Wert eines qualitätsvollen, gemeinschaftlichen Lebens in einer Zeit der revolutionären technischen, industriellen und gesellschaftlichen Veränderung erkannten. „In Schottland war Robert Owen mit ,New Lanark‘ erfolgreich und wollte anschließend in Amerika sein ,New Harmonie‘-Projekt verwirklichen. Dazu ist es aber nicht gekommen. Ich war 2018 mit Studenten in ,New Lanark‘ und habe mir diesen besonderen Ort angeschaut. R. Owen hat auch über Genossenschaftsmodelle nachgedacht“, berichtet Berthold Penkhues. Das Familistère von Guise in Frankreich wiederum gelte als der erste soziale Wohnungsbau der Moderne. Der Fabrikant und utopische Sozialist Jean-Baptiste André Godin habe den Komplex in der Mitte des 19. Jahrhunderts erbauen lassen, um seinen Arbeitern einen Wohnort in der Nähe seiner Fabrik zu bieten.

Orte der Inklusion
„Gemeinschaftliches Leben war also schon immer eine Herausforderung, die angenommen wurde, um sie zu gestalten, und unsere Klöster sind frühe und starke Beispiele dafür, wie Menschen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten an einem Ort leben und sich einbringen können“, sagt Berthold Penkhues. Klöster geben Antworten auf Fragen höchster Aktualität:  Wieviel Platz benötige der Einzelne, und wieviel die Gemeinschaft?  Oder wem solle ein Ort mit seiner Architektur über die Jahrhunderte gehören? Klöster seien auch exemplarische Orte der Inklusion: „Jeder gehört dazu. Katholisch heißt schließlich all-umfassend.“ Insofern könne das Kloster von Breitenau beispielhaft für die Herausforderung stehen, alle Menschen ins Leben einzubeziehen.

 

„Wir können die Idee übertragen. Breitenau ist in seiner Einmaligkeit so weit erhalten, dass die Idee des Ortes fortleben kann“, ist Berthold Penkhues überzeugt. Reste der alten, in sich geschlossenen Klosteranlage stehen noch. In ihnen hat der genetische Code des Ortes überlebt, um den sich ein zweiter, weiter Mauerring legt, innerhalb dessen neue, zeitgemäße Wohnungen ringförmig um den geistlichen und architektonischen Nukleus des Ortes

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