Historie


Gründung als Benediktinerkloster im Jahre 1113

Um den Ort heute und in Zukunft nachhaltig mit Leben zu füllen, ist die Befassung mit dem genius loci die Voraussetzung. Was ist der Geist des Ortes? Die ursprüngliche Bestimmung des Ortes reicht bis ins Mittelalter zurück.

Breitenau wurde 1113 als Benediktinerkloster gegründet. Ein Kloster ist ein Ort des Teilens – von Glauben und Überzeugungen, von Raum und Zeit, von (unterschiedlichen) Fähigkeiten und dem Materiellen. Wie zahlreiche Bauten mit religiösem Hintergrund liegt das Kloster Breitenau an einem geradezu auratischen Ort nahe dem Zusammenfluss von Fulda und Eder.

Die Benediktiner versenken sich in die Suche nach Gott, in die innere Sammlung und Betrachtung. Gehorsam ist das einfühlsame Hinhören auf Gott. Ihr Motiv beschränkt sich aber nicht nur auf das Spirituelle, sondern wirkt mit ora et labora et lege (beten, arbeiten, lesen) in die Welt hinein.

Das Nichtstun, so von Benedikt überliefert, sei der Feind der Seele. Die Benediktiner bilden keine Gemeinschaft für eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft, sondern für jedermann. Karl der Große nutzte die Benediktiner zur Verbreitung des Reichsgedankens in seinem Herrschaftsgebiet (dem heutigen Kern der EU), zur Verbreitung des Christentums, als Entwicklungshelfer und Kulturarbeiter.
Im Konzil von Aachen (816 bis 819) wurden die Benediktinerregeln für alle Klöster des Frankenreichs für verbindlich erklärt. Neben die Kontemplation traten immer mehr Seelsorge, Schule und Mission als Aufgaben. Hildegard von Bingen (1098-1179), Benediktinerin, befasste sich in ihrer Literatur mit Heilpflanzen, beschrieb die Volksmedizin ihrer Zeit. Die großen Klosterbibliotheken verhinderten den Verlust von antiker Literatur. Hätte es ohne sie eine Renaissance gegeben?

Klöster verlieren im 16. Jahrhundert an Einfluss – Breitenau erhält weitere Bestimmungen
Mit dem Aufkommen der Universitäten im 12. Jahrhundert – einem wirklich europäischen Bildungssystem – verloren die Benediktiner an Einfluss, denn eines ihrer Gelübde verlangt von ihnen Sesshaftigkeit, während die moderne Bildungsreform die Mobilität von allen Lehrenden und Studierenden im ganzen Gebiet der römischen Kirche verlangte.
Als im 13. Jahrhundert Städte und Geldwirtschaft und mit ihnen die Bettelorden aufkamen, verloren die Benediktiner, die ins Feudalsystem und die Naturalwirtschaft eingebunden waren, weiter an Bedeutung.
Mit der Reformation ging die Geschichte der meisten Klöster in Deutschland (im Ostreich) zu Ende, während in Frankreich (dem Westreich) die Orden im 17. Jahrhundert eine Stärkung erfuhren.
Die Geschichte Breitenaus als Kloster endete 1527 mit der Reformation in Hessen. 1579 wurde die Kirche Fruchtspeicher und Pferdestall.

Vision für eine Stadt, Kriegsschäden & Gefangenenlager

1606 plante Landgraf Moritz den Ausbau Breitenaus zu einer Stadt. Doch nachdem weder die Ansiedlung kölnischer Kaufleute, noch von 630 Bürgern anderer hessischer Orte gelungen war, wurde Breitenau zu einem „Lustaufenthalt“ umgebaut. Im 30-jährigen und 7-jährigen Krieg wurde die Anlage schwer zerstört.

1871 wurde das ehemalige Kloster zum Lager für französische Kriegsgefangene, danach zog eine Corrections- und Landarmenanstalt ein. 1911 kam ein Gefängnistrakt hinzu. 1933/34 war Breitenau ein Konzentrationslager, später ein Arbeitserziehungslager und KZ-Sammellager für Deportationen in die Vernichtungslager. 1944 befand sich dort die Ausweichstelle für die Gestapo Kassel und von 1952 bis 1973 ein Mädchenerziehungsheim, das aufgrund der öffentlichen Proteste geschlossen wurde.

Kloster als Hauptmotiv für internationale Kunstausstellung
Vom 9. Juni bis 16. September 2012 fand die dOCUMENTA (13) unter der Leitung von Carolyn Christov-Bakargiev in Kassel statt. Zum ersten Mal in der Geschichte der documenta, der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihe zeitgenössischer Kunst, konnten Interessierte an mehreren Austragungsorten – in Kassel und Umgebung sowie in Afghanistan und Ägypten – das „Museum der 100 Tage“ besuchen. Die dOCUMENTA (13) legte ein Hauptmotiv an, das an den Ursprungsgedanken der documenta anknüpfte: „Zusammenbruch und Wiederaufbau“ (Collapse and Recovery), also die Heilung von Kriegstraumata durch Kunst. Dabei war ein Ort für die Konzeption besonders wichtig: das ehemalige Benediktinerkloster Breitenau, unter den Nationalsozialisten Arbeits- und Konzentrationslager, später Mädchenerziehungsheim und psychiatrische Anstalt. Viele Künstlerinnen und Künstler (alle hatten im Vorfeld Kassel und Breitenau, einige auch Kabul und Bamiyan besucht) bezogen sich in den fast ausschließlich neu produzierten Arbeiten auf diese Orte.

Die wechselvolle Geschichte des Klosters Breitenau - heute eine Liegenschaft der Vitos Kurhessen und früher des LWV Hessen - war in mehreren Kunstwerken an verschiedenen Standorten der Kunstausstellung und im Kloster selbst, thematisiert. Nicht nur die Vitos Kurhessen auch ihr Träger, der LWV Hessen, waren Kooperationspartner der d 13.

Neuanfang
Es sind vor allem die gut hundert Jahre ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, die als Geschichte auf Breitenau lasten. Diese furchtbaren Jahre sind nicht zu beschweigen. Im Gegenteil. Doch darüber dürfen die Jahre bis zur Auflösung des Klosters nicht vergessen werden. Die Kontemplation – das Hineinversenken in den Geist des Ortes Breitenau als Kloster – kann ein Quell der Inspiration sein, damit der zweite Versuch einer Stadtgründung in Breitenau nach 1606 erfolgreicher verlaufen mag als jener des Landgrafen Moritz.

Schlagen wir nun ein neues Kapitel auf.

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